Eine Freundin hat mir aus Mittelitalien geschrieben, wie auffällig unterschiedlich die Kirchen, die sie sich angesehen hat, von innen und von außen wirken. Ich erinnere mich, das auch schon oft gedacht zu haben. Ich entscheide meist sehr schnell, ob ich ein Gebäude mag und es mir entsprechend länger ansehe oder nicht. Oft gefallen mir solche, die wenig dekoriert sind, in denen vor allem die Statik den visuellen Eindruck bestimmt.
Eher selten sind die Innenräume von Kirchen so, dass ich mich gerne länger in ihnen aufhalte. Manchmal allerdings bin ich ganz unmittelbar betroffen. Es ist kein religiöses Gefühl, sondern das Staunen darüber, wie stark gute Proportionen auf mich wirken: Ich habe aus jeder Perspektive das Gefühl, ein Ganzes erfassen zu können - nicht immer einfach das Gleiche, aber jedes dieser Ganzen steht in Bezug zu den anderen. Es ergibt sich ein vielschichtiger, komplexer Gesamteindruck. Solche Innenräume laden mich dazu ein, sie durch Bewegung, durch Schauen, durch Nachdenken zu erfassen. Meine Wahrnehmung differenziert sich, ich sammle lange nachhallende Raumeindrücke.
Obwohl das Vorgehen in meiner Arbeit manchmal solchen Erkundungen gleicht, fällt mir auf, wie sparsam dabei »Innenräume« eine Rolle spielen. Ich behaupte zwar nicht, dass alles nicht Beobachtbare eine Blackbox ist und der Küchenpsychologie überlassen gehört. Aber ich vermeide es in der Regel, Innenräume zu erforschen. Ich warte und schaue, was mein Gegenüber sichtbar macht. Damit arbeite ich, und ich denke nicht, dass die Innenräume eines anderen Menschen in meinen Zuständigkeitsbereich gehören. Ich könnte sie ja nur unpassenderweise mit meinen eigenen Vorstellungen besetzen. (Der Innenraum einer Kirche ist dafür wohl eher vorgesehen). Ich muss meinem Gegenüber zugestehen, dass es Dinge gibt, die sie oder er kennt und weiß, und von denen ich keine Ahnung habe. Dazu gehört unbedingt ihre oder seine Expertise in Bezug auf sich selbst, und diese muss in weiten Teilen unangetastet bleiben. Nur dann bleiben die Verantwortlichkeiten sinnvoll verteilt.
Und wenn man die Analogie mit der Kirche weitertreiben will: Die Kirchenfassade ist oft ungemein interessant. Sie verbindet den Außenraum, den Kirchenplatz, die Stadt oder das Dorf mit dem Innenraum, der spirituellen oder liturgischen Funktion. Die Fassade ist oft der Ort der (bild-)sprachlichen Vermittlung von innen und außen, oben und unten, der Ort der Kommunikation des Profanen mit dem Heiligen, der historischen Zufälligkeit mit den (ewigen) Werten. Sie ist der Ort, an dem oft wunderbare Geschichten erzählt werden, die mit der Zeit und dem Hinschauen, oder im Dialog mit anderen reicher und interessanter werden.
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